
„Hallo, Sabine!“, grüßte Fuji die Sonne, als die ersten Strahlen nach einer weiteren Nacht über den Horizont krochen, „Wie geht es dir?“
„Huch! Hallo! Hallo! Hallo, oh schöne Welt!”, sang sie begeistert, ohne ihn zu erblicken, „Hallo! Oh! Schaut mal, wie hoch ich steigen kann! Schaut her! Schaut her!“
„Ja, das machst du toll, Sabine“, bestätigte er ihre Euphorie.
„Ich kann sogar- Moment. Sprichst du mit mir?“
Endlich senkte sich ihr Blick auf ihn und die kleine Wolke lächelte sie freundlich an.
„Natürlich, meine Freundin. Wie geht es dir, Sabine?“
Ihre Lippen formten den Namen nach. Sie kosteten ihn. Dann nickte sie. Sie schien beinahe vor Freude aus dem Horizont zu hüpfen und Fuji musste sich ermahnen, geduldig zu bleiben.
„Mir geht es gut. Mir geht es gut! Mir geht es gu-u-u-ut!“, ihre Strahlen tanzten über den Himmel, „Ich, ja, ich bin die Sabine. Sabine. Sabine! Ich bin die Sa-sa-bine! Die Sabine bin ich!“
„Ja. Du hast einen schönen Namen, oder?“
„Das ist der beste Name überhaupt!“, erklärte sie stolz, ehe sich eine neue Sorge in ihr Gesicht schlich, „Aber woher weißt du das? Woher … Ich meine … Ich weiß nicht, wer du …“
„Ich bin Fuji“, die Wolke flog näher an sie heran, „Wir sind Freunde. Wir haben uns schon vor langer Zeit kennengelernt. Aber das ist gerade nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass wir füreinander da sein können!“
Das schien der Sonne zu gefallen. Lachend flog sie höher und erklärte aufgeregt, wie sehr sie seine Anwesenheit genoss. Immerhin wäre es sicherlich doof gewesen, wenn er sie nicht angesprochen hätte. Er hatte ihr damit den Morgen versüßt. Aber warum … Nein. Es war nicht wichtig, woher sie sich kannten. Nur dass sie füreinander da waren. Das war alles was zählte und-
„Was bedeutet das? Also, dass wir Freunde sind? Was ist ein Freund?“
Obwohl Fuji es sich anders vorgenommen hatte, erschauderte er bei diesen Fragen. Er rang mit seiner Fassung und musste schlucken.
War er wirklich ihr Freund, wenn sie sich nicht an ihn erinnerte?
„Ein Freund … Ein Freund ist jemand, dem du vertraust. Es ist jemand, der für dich da ist und …“, stotterte die Wolke und fand langsam seine Kraft in diesen Worten wieder, „Ich weiß nicht … Waren die Sterne einst mal deine Freunde? Also … Vor langer, langer Zeit?“
Unsicher sah er in den hellen Himmel.
Ob die Sterne wieder zusahen? Ob sie ihn auch diese Nacht wieder belästigen würden? Ob er etwas dagegen unternehmen könnte? Aber was?
Fuji wusste nicht mehr weiter.
„Sterne?“, Sabine runzelte die Stirn, „Was sind Sterne? Sind Sterne auch so weiß und flauschig? So wie du?“
„Nein“, diesmal musste die Wolke lächeln, „Sie sind … sie ähneln eher dir. Sie sind da oben. Irgendwo da oben, wo deine Strahlen sie nicht mehr erreichen. Sie … Manchmal beobachten sie uns. Sie leuchten auch selber, weißt du? Aber irgendwie sind sie nicht so hell wie du. Sie können nicht in den Tag strahlen.“
Die Sonne nickte: „Ist ja klar. Ich bin nämlich die hellste! Ich bin nämlich-“, sie hielt wieder inne, „Woher kanntest du meinen Namen? Ich habe ihn dir nicht genannt.“
Eine plötzliche Kühle hatte sich in ihre Tonlage geschlichen. Misstrauisch beäugte sie ihn.
„Was meinst du?“
„Du hast mich gleich mit Sabine begrüßt. Warum? Warum nicht mit Helga oder Sammy oder Theodosia? Warum Sabine? Wer bist du? Welches Hexenwerk geschieht hier?“
Dann war Fuji heute wohl zu schnell gewesen. Mist!
„Entschuldige, die Störung. Man sieht sich“, verabschiedete er sich hastig und verschwand unter einer größeren Wolkendecke.
Ihr Geschrei erreichte ihn trotzdem noch.
Seit 17 Tagen versuchte er nun schon, Sabine morgens ihre Erinnerungen zurückzuholen. Aber entweder klappte es nicht oder sie hielt ihn für ein bösartiges Geschöpf, dass sie verfluchte. So oder so war er bislang erfolglos geblieben. Entweder ignorierte sie ihn vollends oder sie versuchte ihn in Regen zu verwandeln.
Seufzend schlüpfte er an einem Berg vorbei und eilte der Nacht entgegen.
Fuji hätte nicht gedacht, dass Erinnerungen so komplex waren. Viel zu oft hatte sie ihn bereits mit anderen Wesen verwechselt. Sabine brachte gern ihre wirren Erinnerungen durcheinander. Zumindest die Brocken und Fetzen, die sie ihm offenbarte.
Die Wolke starrte in den rötlich werdenden Himmel.
„Seid ihr glücklich da oben?!“, rief er wütend hinauf, „Macht es euch Spaß, sie leiden zu sehen? Wie kann man nur so herzlos sein?!“, wutentbrannt hetzte Fuji weiter und wartete auf den neuen Tag.
Er … Ja. Er war Sabines Freund. Er musste ihr helfen. Er würde ihr helfen! Er würde für sie da sein. Immer und immer und immer wieder!
Für.
Jeden.
Einzelnen.
Morgen.
…
Nächstes Mal würde er sie anders begrüßen.