Chem Wak beobachtete das Gebäude vor ihm. Es war groß. Modern. Edel. Kurzum: ein Sinnbild von Reichtum und Ästhetik. Er hatte so etwas bereits abfällig erwartet. Dieser Luxusbunker erklärte stumm so viele Ungerechtigkeiten, die-
Ruckartig schüttelte er seine Gedanken ab. Stattdessen bedeutete er seinem Fahrer, hier auf ihn zu warten, ehe er durch den Schnee zum extravaganten Haus hinüber watschelte.
Ein Dienstmädchen öffnete ihm.
„Mr. Belial? Die werte Dame erwartet Sie bereits. Darf ich Ihnen Ihre Jacke abnehmen?“, ihre Worte waren von einer kühlen Höflichkeit geprägt.
Nicht von Wärme.
„Besten Dank“, lächelte er sie dennoch an, „Ich hoffe, es stört die werte Dame nicht, dass wir uns in Ihrem trauten Reich treffen?“
Er bemühte sich, keine Verachtung in den Worten mitklingen zu lassen. Sie gehörte nicht hierher. Noch nicht. Noch durfte er seinen Gefühlen keinen freien Lauf lassen. Er musste sich zusammenreißen. Zumindest bis er bereit war, ihr die harte Wahrheit entgegenzuschleudern.
„Aber nicht doch. Für solche Fälle hat die werte Dame doch ihren Wintergarten, in dem sie Sie gerne empfängt“, das Dienstmädchen wies den Flur herunter und gelassen schlenderte Chem Wak ihn entlang.
„Ein schönes Haus“, bemerkte er dabei, „Und stilistisch so eigen. Es wirkt beinahe frisch aus dem Boden gesprossen. Beeindruckend.“
Seiner Führerin entwich ein stilles Lachen: „Aber nicht doch. Das Gebäude ist bestimmt schon zehn Jahre alt. Die werte Dame hat es damals bauen lassen, als sie zur Chefin der Centurys Post befördert wurde.“
Chem Wak nickte.
So etwas in der Art hatte er sich schon gedacht. Es passte zumindest zu den Informationen, die sein Privatdetektiv zu dieser werten Dame gefunden hatte …
„Arbeiten Sie schon lange für die werte Dame?“, fragte er das Dienstmädchen höflich, nur schien ihr die Frage zu persönlich zu sein. Misstrauisch beäugte sie ihn, ehe sie wieder nach vorn sah.
Störte sie sich daran, dass er ihre Herrin nicht benannte? Oder war er wieder zu schnell vorgeprescht? Könnte er sich denn nie zügeln, wenn ihm etwas emotional Nahe ging? Und dabei hatte er sich doch zusammenreißen wollen!
„Am Ende nach links“, unterbrach sie die Entschuldigung, die er gerade an sie richten wollte und kehrte ihm den Rücken zu.
Dann eben nicht.
Schulterzuckend watschelte er in den Wintergarten. Um ihn herum standen diverse exotische Pflanzen in riesigen Mamortöpfen. Die Bäume und Blumen reckten gierig ihre Köpfe nach oben. Einige wenige erreichten so auch die Glaskuppel, die den Wintergarten umschloss. Träge rieselte der Schnee auf die durchsichtige Barriere hinab und weinte sich dann in Richtung Boden.
Ein herzzerreißender Anblick für all jene, die die Zeit aufbrachten, ihn zu beobachten.
Die werte Dame gehörte jedoch nicht dazu. Die werte Dame schien nicht einmal den Wintergarten wahrzunehmen. Stattdessen lehnte die werte Dame über Papieren, Büchern und zwei Laptops, die den Kaffeetisch einnahmen.
„Mr. Belial“, grüßte sie ihn ohne aufzusehen, „Kommen Sie näher. Setzen Sie sich. Wenn Sie etwas trinken wollen, einfach klingeln. Betty holt es Ihnen dann schon“, sie wies auf ein einsames Glöckchen inmitten der Unordnung, „Ansonsten ist meine Zeit sehr kostbar und ich möchte gleich zum Grund Ihres Besuches kommen. Sie haben behauptet, meiner Zeitung mit finanziellen Mitteln und Informationen weiterhelfen zu können. Sie sagten-“
„In der Tat“, stimmte er ihr zu.
Überrascht blickte sie auf. Sie schien es nicht gewohnt zu sein, unterbrochen zu werden. Diese drei Worte schienen sie zu verstören.
„In der Tat?“, wiederholte sie.
„In der Tat. Ich hätte mehrere Geschichten, die für ihre Zeitung von Interesse wären. Jedoch werde ich keine einzige mit Ihnen teilen, solange Sie nicht meine Hauptstory gebracht haben“, erklärte er ihr gelassen und ließ sich auf dem bereitgestellten Gartenstuhl nieder.
„Sie haben so etwas in der Art schon in Ihrem Brief angedeutet“, irritiert beobachtete die werte Dame ihn, „Wenn es sich jedoch um einen Artikel handelt, deren Moral- und Ethikvorstellungen nicht von unserer-“
„Keine Sorge, Sie haben bereits weitaus Schlimmeres veröffentlicht. Ich habe mich informiert“, versicherte Chem Wak ihr, „Mord, Morddrohungen, Vergewaltigungen, Traumata – all das kann bereits in diversen Ausgaben Ihrer Centurys Post gefunden werden. Meine eigene Story ist weitaus unspektakulärer. Und sie beinhaltet auch nur einen vollständigen Namen. Also. Kaum der Rede wert.“
„Und dafür wollen Sie uns diverse politische Informationen und eine finanzielle Unterstützung in Höhe von“, die werte Dame überflog einen der vor ihr liegenden Zettel und hob abschätzend eine Augenbraue, ehe sie aus seiner Nachricht vorlas, „Zehn Riesen im Monat zusichern?“
„Genau.“
Sie musterte ihn einen Augenblick lang nachdenklich. Dann nickte sie. Sie schien zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht spürte sie auch, dass diese eine Story alles verändern würde. Dass diese eine Story endlich Rechenschaft einfordern würde.
„Haben Sie denn ihre Story bereits geschrieben? Oder bräuchten Sie dafür einen unserer Mitarbeiter? Einen Texter oder einen Lektor? Oder-“
„Für die Rohfassung würde ich Ihre Mühen wertschätzen“, unterbrach Chem Wak sie erneut.
Er schenkte ihr ein Lächeln, das von Falschheit nur so strahlte.
„Meine Mühen?“, die werte Dame hob eine Augenbraue, „Sie verstehen sicher, dass ich schon seit Jahren keinen Artikel mehr verfasst habe. Ich habe wichtigere Dinge zu erledigen und-“
„Wohl wahr, wohl wahr. Ich dachte nur. Immerhin heißt meine Hauptfigur Elisabeth Rivers. Genauso wie sie vor ihrer Namensänderung, Isa Silver. Was für ein Zufall nicht wahr?“, Chem Wak spürte, wie Hass in ihm aufkeimte und diesmal verdrängte er das Gefühl nicht, „Meine Elisabeth Rivers hatte ein Problem mit Schwangerschaften. Und mit ihrer Ehe. Sie wollte nicht mehr Hausfrau spielen. Sie hatte ja nicht einmal aus freien Stücken in die Beziehung eingewilligt. Aber dann steckte sie plötzlich in ihr fest. Sie musste zumindest nach Außen hin so wirken, als würde sie das Verhältnis zu ihrem Ehemann retten wollen. Ganz schön traurig, oder? Wissen Sie, was sie getan hat?“, er fuhr mit den Fingern über die Zettel und beobachtete dabei den Blick der werten Dame.
Diese verengten Augen.
Diese Abscheu.
Gefolgt von Trotz.
„Elizabeth Rivers schlug vor, ein Kind zu adoptieren!“, erzählte er weiter, „Ein hilfloses Baby, auf das sie bald keine Lust mehr hatte. Immerhin entwickelte es sich nicht zu dem Wunderkind, das sie sich wünschte. Nein. Stattdessen wuchs das Baby zum Kind heran. Und das Kind hatte Probleme mit seinen eigenen Träumen. Träume von gehörnten Wesen und einer zweiten Sonne … Wie konnte es nur! So etwas war für die Karrierefrau Isa Silver nicht tragbar, oder? Deswegen haben Sie Ihr Kind zurückgelassen und sich lieber Ihrer Karriere zugewandt, nicht wahr?“
Chem Waks Fäuste bebten. Dennoch blieb er auf seinem Stuhl sitzen. Er starrte diese werte Dame an, die nicht einmal den Anstand hatte, ertappt auszusehen.
Wie konnte man so kaltherzig sein?!
„Wollen Sie mir drohen? Hat mein Ex sie geschickt? Seien Sie sich gewiss, dass ich so ein Verhalten nicht hinnehmen werde. Unsere Abmachung-“
„Hat eh nie existiert“, Chem Wak beugte sich vor, „Sie haben doch viel zu viel Angst vor einer simplen Story, oder irre ich? Aber keine Sorge. Lange werden Sie eh nicht mehr auf der Welt verweilen.“
Damit stand er auf und ging.
Chem Wak ignorierte die zeternde Stimme. Er ignorierte die unsicheren Blicke des Dienstmädchens. Er ignorierte den Schnee und den kalten Wind, der ihn draußen begrüßte, da er seine Jacke beim Herausgehen nur in die Armbeuge gelegt hatte.
Morgen würde Isa Silver ihren Morgentee trinken und sterben.
Und dann würden all ihre Besitztümer an die Tochter fallen, die sie nie enterbt hatte. Für die sie nie dagewesen war. Die sie nie ins Herz schließen konnte.