Timothy – Der Plan …

Schwarzer Tod. So hatte Timmy die Krankheit genannt. Sie wäre letztes Jahr auch durchs Dorf gewütet. Damals hatte sie Julie verschont. Nicht jedoch die Kinder, die die Straße runter gewohnt hatten.

Nur eines von den knapp zwanzig hatte überlebt.

„George hatte Medizin von einem Reisenden probiert. Papa hatte sie Balds Augensalbe oder so genannt. Keine Ahnung“, der Timmy wurde immer leiser.

Seine Stimme klang so angespannt …

„Vielleicht hat dieser George nicht alles davon aufgebraucht?“, fragte ich vorsichtig.

„Sicher doch! Und was dann? Hm?!“, er lachte höhnisch, während er seine Schwester an sich presste, „Wenn ich nach der Medizin frage, würde George wissen wollen, warum. Seine Eltern würden den Preis dafür in den Himmel feilschen. Nur, um zu bemerken, dass wir nicht zahlen können, weil wir hier allein leben. Wir würden ins Heim kommen – wenn Julie es überhaupt bis dahin schaffen wird!“

Er weinte. Dieser sonst so sture, schroffe Junge weinte. Er war am Ende seiner Kräfte. Wegen der Schwester, die er über alles liebte. Wegen-

Ein Gesicht schlich sich in meine Gedanken. Ein Mädchen. Nicht Jane. Es war zu mir gerannt, als das Anwesen gebrannt hatte. Sie hatte mich gerufen. Oder irrte ich mich? Wer-

„Es ist zu Ende“, Timmys Flüstern holte mich zurück und erschrocken wies ich die Erinnerung fort.

„In welchem Haus wohnt George?“

Lachend schüttelte Janes Enkel den Kopf: „Was willst du machen? Nachsehen, ob das Zeug irgendwo rumliegt? Du weißt doch nicht einmal, wonach du suchen musst!“

„Zumindest kenne ich noch Hoffnung“, gab ich kühl zurück, „Julie hatte endlich wieder gelächelt. Willst du dieses Lächeln etwa nie wiedersehen?“

„Will ich-“, wütend warf er einen Holzscheit durch mich, „Was erlaubst du dir eigentlich?!“

„Wie sieht Georges Haus aus?“, fragte ich erneut.

Timmy riss den Mund auf. Ich konnte Wut in seinen Augen sehen. Bestimmt wollte er mit mir schimpfen. Er würde Zeit verschwenden. Er-

Julie hustete auf. Sie drückte sich an ihren Bruder. Hauchte tonlose Wörter in die Luft. Zitterte.

Sorgsam strich er über ihre Wange. Dann wickelte er sie tiefer in den kaputten Mantel ein.

Er seufzte.

„Straße links runter. Viertes Haus. Rechts. Neben dem Birnenbaum“, quetschte Timmy hervor.

Nickend glitt ich nach draußen. Ich folgte der Beschreibung. Stoppte erst vor dem Gebäude. Dort betrachtete ich den ordentlichen Rasen. Die kleinen Beete.

Etwas in mir verkrampfte sich.

Ruckartig schwebte ich durch die Wände. Ich suchte alles ab. Ich musste. Ich wusste nicht, wie diese Medizin aussah. Ich wusste ja nur, dass sich hier ein Rest befinden könnte. Dass es die einzige Hoffnung war, die ich mir zugestehen durfte.

Ich konnte Julie nicht sterben lassen.

Nicht ihr Lächeln!

Langsam stieg der Zorn in mir auf. Ich spürte, dass er ausbrechen wollte. Dass er das Haus verschlingen wollte. Dabei wollte ich doch jemanden retten. Nicht diese Leute verdammen! Ich wollte-

Ich wollte-

Schaudernd blieb ich mitten in dem Stübchen stehen. Ich starrte auf den Kamin. Auf die Schalen darüber.

Die Schalen waren so dreckig. Das Brett darunter jedoch abgewischt.

Zögerlich glitt ich durch das verrußte Geschirr. Ich kannte es irgendwie. Woher? Hatte ich mal daraus gegessen? Damals war es aber verziert gewesen. Mit Gold und-

Deswegen war es so dreckig! Die Leute ließen die Schalen so sehr einstauben, damit sie nicht so glänzten. Sie versteckten diese wundervollen Kunstwerke mitten im Zimmer!

Würden sie es mit der Medizin dann nicht genauso handhaben?

Erneut glitt ich durch die Schalen. Es waren drei Stück. Alle unterschiedlich groß. Die größte war früher eine Obstschale gewesen. Sie hatte im Esszimmer gestanden. Die mittlere wirkte eher wie ein Suppenteller. Und die letzte … Jemand hatte sie mir immer wieder gebracht und-

Ein Arm glitt durch mich hindurch und erschrocken sprang ich in den Kamin. Die Frau hinter mir erschauderte. Dann rieb sie sich die Arme und wandte sich ab, um das Fenster zu schließen.

Draußen war es dunkel.

Wie viel Zeit wohl vergangen war?

Julie!

Hastig glitt ich erneut durch die Schalen. Ich spürte Münzen in der großen. In der mittleren lagen irgendwelche Zettel. In der kleinen verbargen sich jedoch zwei Fläschchen.

Das musste Medizin sein!

Ob es aber auch die richtige war?

Nein! So durfte ich nicht an die Sache rangehen. Ich musste daran glauben! Ich brauchte die Hoffnung.

Eilig schwebte ich zu Timmy zurück und erzählte ihm alles. Ich sprach auf ihn ein. Immer und immer wieder. Bis auch er meine Hoffnung spürte und dem Plan zustimmte.

Wir würden uns die Medizin holen.

Für Julie.

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