
„Flieg mir aus den Augen, Nervbold! Aber flieg der Kälte entgegen. Dann kommst du an den Ort des ewigen Tages … oder der ewigen Nacht. Alle halbe Jahre wechseln die Gezeiten. Für deine Zwecke sollten sie jedoch genügen.“
Die Worte klangen noch immer durch Fujis Kopf. Sie irritierten ihn. Der Kälte entgegenfliegen? Er glaubte zu verstehen, was sie damit meinte, nur … Was meinte sie mit dem ewigen Tag? Oder der ewigen Nacht?
Nachdenklich wandte er sich nach Norden und machte er sich auf den Weg. Er beobachtete derweilen, wie Sabine ihren Weg über den Himmel fortsetzte. Wie sie so vor sich hin lachte …
Ob er unterwegs trotzdem versuchen sollte, mit ihr zu sprechen? Seine Freundin tanzte sie ihrem Zenit entgegen. Noch freute sie sich. Noch war sie bester Dinge. Noch war alles gut.
Schon bald würde ihr Gemüt in die Tiefe stürzen.
„Flieg der Kälte entgegen … Dem Ort des ewigen Tages“, murmelte die kleine Wolke vor sich hin und ignorierte die Sonne schweren Herzens, „Oder dem Ort der ewigen Nacht … Dort würden gewiss die Sterne auf mich warten …“
Ja. Die Sterne würden ihn dort sicherlich begrüßen und belügen. Etwas anderes erwartete er nicht mehr von ihnen! Warum auch nicht? Sie interessierten sich doch nur für sich selbst! Ihnen war alles andere egal! Ihnen war die Vergesslichkeit der Sonne egal! Ihnen war Fuji egal!
„Huch? Wieso sinke ich denn? Nein! Das will ich nicht!“, rief Sabine plötzlich aus und erschrocken drehte sich Fuji ihr zu, „Ich will nicht! Ich bin doch die Größte! Die Größte bin ich!“
„Schon gut! Alles wird gut!“, rief Fuji ihr entgegen, „Du musst keine Angst haben!“
„Na nu?“, ihre Blicke begegneten sich, „Woher willst du das wissen? Wer bist du?“
Die letzte Frage zerriss ihm das Herz.
Obwohl er wusste, dass sie sich nicht erinnern würde, – obwohl er es seit so langer Zeit wusste – so schmerzte ihn diese Erkenntnis jedes Mal aufs Neue. Sabine war seine Freundin. Doch nur er erinnerte sich an ihre Freundschaft. Nur er wusste davon. Nur er-
„Intuition“, behauptete er stur und kehrte ihr den Rücken zu, um sich zu sammeln.
Er durfte nicht weinen. Wenn er weinte, dann regnete er. Wenn er regnete, dann löste er sich auf. Wenn er sich auflöste, dann würde niemand mehr Sabine helfen.
Sie hatte doch nur ihn!
Deswegen wand die kleine Wolke sich ab. Deswegen flog Fuji schleunigst weiter. Deswegen folgte er Alpes Anweisungen.
Bis er eines nachts den kältesten Ort der Welt erreichte.
Leise schlich er sich durch den Himmel. Es gab hier kaum andere Wolken. Oder Vögel. Alles war so still und ruhig. Fuji konnte von hier aus wunderbar die Sterne sehen. Er lauschte, wie sie sich untereinander stritten. Allerdings waren sie hier ganz leise, ganz weit weg und-
Die kleine Wolke stoppte. Verblüfft starrte er in der Ferne. Dort tanzten Lichter im Himmel! Abertausende Lichter! Oder war es nur eines? Es war so gewaltig! Und wie farbenfroh die Erscheinung war! Fuji wusste es kaum zu begreifen. Wie konnte es so etwas Fantastisches an einem so versteckten Ort geben? Nie zuvor hatte er von diesem Leuchten gehört!
„Das ist … der Wahnsinn …“
„Immerzu“, antwortete Sabines Stimme in der Dunkelheit.
Erschrocken blickte Fuji sich um. Wo war sie hergekommen? Oder irrte er sich? Nirgends konnte er die Sonne entdecken. Seine Freundin war nirgends zu sehen. Nirgends-
„Ich freue mich, dass du zuerst Richtung Norden geflogen bist und es noch rechtzeitig geschafft hast, Fuji“, sprach sie weiter, „Im Süden wären wir uns nicht begegnet. Und leider kann ich nicht überall gehört werden.“
Fuji blickte erneut zu den bunten Lichtern. Dann zu den Sternen.
Zuletzt starrte er den leuchtenden Stein an, der sonst schwieg.
Der sonst keinen Ton von sich gab.
Der Mond, der hier mit Sabines Stimme sprach!