Minki und die warmen Tage II

(Nach sehr vielen wahren Geschichten.)

Schnurrend aalte sich Minki im Schatten der Bäume. Die Sonne schien nur vereinzelt durch das Blätterdach und kitzelte dabei Teile seines Pelzes. Für sein weißes Fell war es ein angenehmer Segen, für sein schwarzes eine brenzlige Angelegenheit.

Der Schrei eines Vogels schlich sich durch seine Gedanken. Ein unangenehmes Geräusch, das nicht vergehen wollte. Genervt öffnete er ein Auge und starrte auf das Federvieh hinter einem Zaun.

Warum wollte es ihm seinen Schlaf rauben? Minki hatte die ganze Nacht über Mäuse gejagt und fühlte sich noch etwas träge von den Nagetieren. Die letzte Piepnase hatte er gar nicht mehr geschafft, weil sein Magen bereits so voll war. Er hatte sie dort hinten irgendwo liegen lassen. Dort, wo nun dieser Vogel keine Ruhe geben wollte!

Minki fuhr die Krallen aus und streckte sich. Er schüttelte die Erde von seinem Fell. Diese trockenen Krümel, die die Kühle des Schattens in sich trugen. Die er in der Wohnung der Zweibeiner nirgends gefunden hätte. Die einen so vollen, beruhigen Duft verströmten.

Missmutig beobachtete er, wie der Vogel schon wieder seinen Schnabel öffnete. Er kreischte abermals. Ein anstrengendes Geschrei, das Minki nicht mehr hören konnte. Das ihn seine nächste Beute wählen ließ.

Denn wen kümmerte es schon, wenn dieser Federball etwas größer war? Er war nur ein größerer Snack für Minki. Und der Kater würde gewiss dafür sorgen, dass die anderen Tiere mehr Respekt vor ihm hatten! Sie sollten ihn bei Sonnenhoch gefälligst schlafen lassen!

Entschlossen pirschte er sich näher heran. Er schlüpfte durch das Loch des Zaunes, der ihn von dem nervigen Wesen trennte. Das Loch, das er erst nachts zuvor entdeckt hatte. Er schlich sich voran – durch Gräser, durch Büsche. Nichts konnte ihn mehr davon abhalten, sich vor dem Federvieh zu behaupten. Es zu erlegen. Es-

Das Wasser lief Minki im Mund zusammen. Aufgeregt fuhr er die Krallen aus. Er spürte, wie sie in die Erde sanken. Wie sein Körper bereits lossprinten wollte. Wie er sich dennoch zurückhielt.

Er musste sich erst gänzlich sicher sein. Wenn dieser Flatterkreischer den Kater zu früh bemerkte, würde er sich in die Lüfte schwingen und dort konnte Minki ihn schlecht verfolgen. Also musste er sichergehen. Er musste einen Moment abpassen, in dem der Vogel ihn nicht sah. In dem er ihn nicht bemerken konnte und-

Das Federtier wandte sich um. Starrte in den Himmel. In die entgegengesetzte Richtung von Minki.

Das war seine Chance!

Sofort stieß der Kater sich vom Boden ab. Er schoss hinaus. Sprang, nein, flog direkt auf dieses kreischende Tier zu. Er konnte es schon in seinem Maul schmecken. Spürte, wie seine Krallen sich in das Fleisch des Vogels bohrten. Wie sein Maul sich in dem Nacken des Tieres verbiss-

Und dann ging alles schief.

Minki mochte ein guter Jäger sein – was bislang hauptsächlich daran lag, dass er sich seine Beute gut aussuchte. Aber er hatte auch lange bei den Zweibeinern gelebt. Er hatte zu viel Zeit in einer Wohnung verbracht, in der er der einzige seiner Art war. In der er niemals auf die Idee kam, sich mit anderen zu verbrüdern.

Ganz anders als der Vogel unter seinen Krallen.

Dieser war in der Wildnis groß geworden. In einer kleinen Gemeinschaft. Mit anderen seiner Art. Immerzu darauf bedacht, gemeinsam zu überleben. Deswegen hatte er auch seine Artgenossen gerufen, um die halbe Maus zu teilen. Deswegen hatte er im Himmel nach ihnen Ausschau gehalten.

Deswegen stießen sich die anderen Vögel nun auf den ahnungslosen Minki herab.

Wütend schlugen sie mit ihren Schnäbeln auf den Kater ein. Es wurden mit jedem Augenblick mehr. Ein Meer aus schwarzen Flügeln ergoss sich über Minki, sodass er erschrocken von seiner Beute ablassen musste. Er jaulte. Zog sich zurück.

Und immer noch verfolgten ihn die Viecher.

Ängstlich rannte der Kater fort. Er spürte immer wieder, wie die Schnäbel und Klauen der Federviecher auf ihn herunterschnellten. Er begann Haken zu schlagen. Schneller zu laufen. Schlüpfte in einen Busch, um zu verschnaufen – nur dass sie ihn sofort fanden und hinterher preschten.

Nein. Nein. Nein! Das konnte nicht sein! Das musste ein Alptraum sein! Genau … Was sollte es sonst sein? Diese Viecher waren aus dem Nichts gekommen! Er lag bestimmt noch unter seinem Baum und schlummerte vor sich hin. Genau!

Allerdings erzählten die Wunden auf seinem Rücken eine andere Geschichte.

Instinkt überkam Minki. Er musste an seinen Retter denken. An den Zweibeiner, der ihn immerzu gefüttert, ihn aufgenommen hatte. Er hatte sich nie zu weit von dem Garten entfernt, in dem sein Retter ihn aus dem Korb gelassen hatte. Er musste dorthin zurück. Er musste dorthin, um Schutz zu suchen. Denn sein Retter würde ihn gewiss nicht im Stich lassen!

Hastig erklomm er einen Baum. Sprang über eine der höheren Mauern. Lief immer schneller. Nun mit einem klaren Ziel vor Augen. Einem Ziel, das ihm Hoffnung schenkte. Bei dem er sich geborgen fühlte.

Schlitternd landete er in einer der Hütten seines Retters. Es sah aus, wie eine kleinere Version der Zweibeinerwohnung. Doch konnte sich Minki nicht auf diese Einzelheiten konzentrieren. Stattdessen huschten seine Augen über die Möbel. Fanden einen eckigen Baum, der dieselben Türen hatte, wie der von daheim. Türen, die er öffnen konnte. Die er hinter sich zuzuziehen wusste.

Etwas, was er augenblicklich tat.

Minki lauschte den Vögeln und wie sie hineinströmten. Er lauschte ihrem Geschrei. Machte sich klein. Blieb ganz still. Wagte es nicht einmal, hinaus zu spähen.

Und dann erklang die Stimme seines Retters. Der Kater vernahm einen wütenden Tonfall. Er hörte, wie die kreischenden Federviecher das Weite suchten. Wie sie von ihm abließen. Fortflatterten.

Erleichtert sackte Minki in sich zusammen. Ein Zittern fuhr durch seine Glieder. Er rollte sich noch enger zusammen.

Und schloss die Augen, um dem Alptraum zu entkommen.

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