Fujis Unglauben

Die Erde drehte sich? Bitte was? Wie war das möglich? Wie sollte sich etwas so Großes drehen können? Und wie sollten die Sterne auch am tagsüber im Himmel stehen können? Immerhin sah Fuji sie nicht. Und müsste er sie nicht erblicken können?

Nein. Das konnte nicht stimmen!

Aber sie wussten, dass er der Sonne gefolgt war. Und dass, obwohl die vergessliche Sonne nicht einmal ihre eigene Reise mitbekommen hatte! Sie hatte Fuji ja bis zu ihrem Untergang widersprochen. Aber wenn die Erde sich drehte … Es könnte eine Erklärung für das Verhalten des gewaltigen Himmelskörpers sein. Egal, wie abwegig diese auch erschien.

Ob er den Worten trauen konnte?

Das Funkeln der Sterne kitzelte in Fujis Augen. Plötzlich bemerkte er, dass ihn alle gebannt beäugten. Warteten sie auf seine Reaktion? Er konnte spüren, wie viel Feindseligkeit zwischen seinen Freunden herrschte. Sie schienen sich weder einigen noch leiden zu können. Es wirkte beinahe so, als würden sie die Worte ihres leuchtenden Nachbarn bereuen.

Fuji stutzte.

Wenn ihnen die Reaktion der kleinen Wolke so wichtig war … dann musste die Aussage seines Namensgebers doch stimmen, oder nicht? Wenn seine Worte eine Lüge gewesen wären, würden die anderen nicht so schweigen, sondern lachen und flackern. Es war ein umgedrehter Gedanke, durch den Fuji erst bewusst wurde, was ihm fehlte.

Wie sehr wünschte er sich doch dieses Lachen herbei! Er wollte mit seinen Freunden scherzen! Er wollte die harsche Realität verdrängen!

Stattdessen wirkte die Situation immer trostloser.

„Die Erde ist rund?“, wiederholte Fuji unsicher.

Der alte Stern nickte wortlos. Er hatte die Augen geschlossen. Falten zeichneten sich unter seine Augen ab. Falten, die sich immer tiefer in seine Züge fraßen. Erschöpft schwebte er durch den Nachthimmel und alterte schneller, als die Sonne bei Tage.

„Und die Sonne ist mit der Erde verbunden …“, wiederholte die kleine Wolke die Worte, die noch durch seinen Kopf flogen und schon kündigte sich der nächste Gedanke an, „Aber warum?“

Ein sanftes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Sterns. Die anderen Leuchtkörper schienen sich von ihnen abzuwenden. Hatten sie es aufgegeben, sich einmischen zu wollen? Warum? Respektierten sie Fujis Namensgeber so sehr? Oder – Nein. Da lag etwas anderes in ihren Blicken. Das war ein Gefühl, das Fuji nicht zu deuten wusste. Das er nicht zu kennen erhoffte.

„Die Sonne … Sie war einst wie wir. Auf gewisse Weise ist sie es immer noch. Sie ist nichts anderes als ein großer Stern, wenn man so will“, erklärte er ruhig und sein Licht nahm einen ungewohnten Flimmer an, „Zumindest war sie das einmal. Ein Stern. Sie war einst ein ganz normaler Stern gewesen … Und dann wollte sie mehr aus sich machen. Aus sich und aus ihrer Umgebung. Deswegen erschuf sie die Planeten“, er nickte vage in den Nachthimmel, „Der einstige Stern kreierte die Erde und das Leben. Sie wurde zur Sonne. Aber mit der Wandlung kam auch die Verantwortung. Und damit sie über ihr Leben wachen kann, wurde ihr der Fluch der Existenz aufgezwungen. Die Sonne altert mit der Erde. Und die Erde altert durch die Sonne. Es ist die Symbiose, die sie verdammt hat.“

Fuji nickte. Dann schüttelte er den Kopf. Er nickte. Runzelte die flauschige Watte über seinen Augen. Starrte herab. Blickte hinauf. Schüttelte sich noch einmal vollends.

„Ich bin mir nicht sicher. Ich-“

„Es ist nicht so wichtig!“, mischte sich sein anderer Stern ein, „Die kann uns eh nicht helfen. Außerdem versteht sie kaum das Problem. Und ohne sie würde es den ganzen Mist nicht geben! Soll sie sich doch davon scheren!“

Fuji beäugte den jüngeren Stern. Ungeduldig blickte dieser am Horizont vorbei, als könnte er die Sonne dahinter ausmachen. Die Wolke glaubte Hass in seinen Augen zu erkennen.

Hass, der der kleinen Wolke gänzlich unbehaglich vorkam.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, fragte er so ruhig, wie er nur konnte, „Sie war einst eine von euch. Sie war ein Stern und-“

„Sie war ein Stern, der unsere Regeln gebrochen hat!“, die Worte schlugen Fuji wie ein Blitz entgegen. Jede Faser seines Seins kribbelte. Er zog sich unruhig zusammen. Überdachte jedes seiner Worte erneut.

„Und dennoch erleuchtet sie immer noch den Himmel und spendet der Erde tagsüber mehr Licht, als ihr die ganze Nacht über erübrigen könnt.“

Sein Trotz überraschte ihn selbst. Er wusste, dass es nicht fair war, so mit seinen Freunden zu reden. Aber war die Sonne über den letzten Tag nicht auch seine Freundin geworden? Sollte er dann nicht Partei für sie ergreifen? Gewiss konnte er es nicht zulassen, dass die Sterne hinterrücks so über sie sprachen!

„Aber doch nur, weil es ihr Fluch ist!“, lachte der andere Stern hasserfüllt auf, „Sie muss für ihren Fehler geradestehen. Nur – warum sollten wir deswegen mit ihr leiden? Ihr Problem ist ja nicht unseres!“

Der kleinen Wolke stockte der Atem. Nein. Das konnte nicht sein. Das konnte einfach nicht sein! Hilfesuchend wandte er sich an seinen Namensgeber, der jedoch nur müde nickte. Der nicht eingriff. Der nicht widersprach. Der sich einzig zurückzulehnen schien.

Fuji spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog.

„Sicherlich war sie damals auch eure Freundin“, hörte er seine eigene piepsige Stimme sagen, „Sie war eine von euch. Und dennoch wollt ihr ihr nicht helfen. Dennoch verdammt ihr sie und außerdem-“, Fuji blickte auf die Erde herab, ein Gedanke hatte sich in ihm verwurzelt, er kettete die Wolke an den blauen Planeten, „Wenn die Sonne der Erde Leben geschenkt hat, dann hat sie gewiss auch mich erschaffen. Ohne sie wäre ich bestimmt nicht hier. Wir hätten uns nie getroffen. Wir hätten uns niemals anfreunden können und die Erde … Die Erde ist …“, er schüttelte sich wieder, „Ist euch das denn alles egal? Bedeuten euch die Lebewesen auf dem Planeten denn so wenig? Bedeute ich euch so wenig?“

Schweigen. Dann murmelten die Lichter etwas. Doch die Worte erreichten Fuji nicht. Die Worte waren nichts anderes als ein entferntes Donnergrollen für die kleine Wolke. Er fühlte sich verlassen. Verlassen von seinen Freunden, für die er so viel gegeben hätte. Verlassen von den Freunden, die ihn jederzeit eingetauscht hätten, wenn er die Blicke richtig deutete.

Verlassen von jenen, denen er vertraut hatte.

„Fuji“, sein Namensgeber sprach ruhig und beschwichtigend, allerdings konnte die Wolke keine Liebe in den Worten finden, „Du musst verstehen, dass-“

„Ich muss verstehen, dass ihr mir so viel bedeutet habt und sich das nun alles als einseitig entpuppt?“, er schüttelte sich und musste sich bemühen, nicht auseinanderzubrechen, „Ist doch auch egal. Wenn kümmert’s? Es ist wie es ist und daran lässt sich ja anscheinend nichts mehr ändern!“

Damit verschwand die kleine Wolke.

Fuji wollte nichts mehr von den Problemen der fernen Lichter hören. Er wollte sich nicht länger mit ihren Diskussionen befassen. Nein. Er musste sich zusammenreißen. Er musste sich davor bewahren zu zerbrechen.

Von nun an würde er der Sonne helfen. Sicherlich bräuchte sie ihn mehr, als seine falschen Freunde.

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