M: Von Schuldgefühlen eingenommen

„Möchten Sie noch etwas Wasser?“, fragte die Bedienung lächelnd. Es war ein einladendes Lächeln. Eines, das in der Gastronomie als Einstellungskriterium verwendete. Dennoch kam Jane nicht umhin, es zu verachten.

Es war nur eine geschickte Lüge.

„Nein, danke“, erwiderte sie höflich und wies auf ihr noch volles Glas.

Erst als sie wieder allein war, schaute sie prüfend durch das Café: Zwei Gäste saßen am Tresen, ein weiterer am Fenster. Dazu noch die Bedienung und jemand in der Küche. Übersichtlich. Nun, es war immerhin ein ruhiger Samstagmorgen in Centy. Was hatte sie erwartet?

Und trotzdem war Jane gekommen.

Der Katzensprung war das Mindeste – selbst mit wachsendem Bauch. Sie musste ja nur die Treppen runterrutschen und über die Straße schlendern. Einzig, um die Angestellte zu treffen, die sich zu ihrer Schicht verspätete.

Mortes hatte seine Schwester doch immer aus allem rausgehalten!

Weiterlesen

Timothy – Zusammen allein …

Ich fand ihn im Dorf wieder. In demselben Dorf, in dem ich Jane zurückgelassen hatte. In demselben Dorf, dessen Straßen dieselben Wege entlangliefen. In demselben Dorf, das nun dennoch so anders aussah …

Wo kamen die ganzen neuen Häuser her? Warum wirkte die Kirche so alt und schäbig? Auch die Gehwege erschienen mir so … stabil?

Unschlüssig betrachtete ich den Marktplatz von den umliegenden Dächern. So viele Leute tummelten sich da unten herum. Dazu noch all diese Stände! Komisch. Woher kamen die ganzen Waren? Die Hälfte davon wusste ich nicht einmal zu benennen!

Der Junge schlich sich durch die Menge. Immer wieder fielen seine hungrigen Augen auf die Lebensmittel. Jedoch blieb er nicht stehen. Wer stehen blieb, wurde von den Verkäufern eindringlich gemustert. Das würde-

Flink schnappte er sich einen Apfel und ließ ihn in den Falten seiner zu großen Kleidung verschwinden. Direkt zu dem Brötchen, das er zuvor ergaunert hatte.

Wieder hatte niemand ihn bemerkt.

Weiterlesen

Timothy – In grauen Augen …

Fast zehn Jahre wachte ich über Jane. Ich beobachtete, wie der Exorzist sich von ihr verabschiedete. Ich blieb bei ihr, als ihr Vater im darauffolgenden Winter an einem Husten verstarb. Und ich folgte ihr wie ein Schatten, als ein altes Ehepärchen aus dem Dorf sie aufnahm.

Dennoch konnte sie mich nicht sehen.

Manchmal glaubte ich, dass sie meine Anwesenheit spüren musste. Dass sie bemerkte, wie ich hilflos die Hand nach ihr ausstrecken wollte. Sie hielt dann immer ganz kurz inne. Sie schien etwas sagen zu wollen. Sich zu entspannen. Sich in meine Richtung zu lehnen.

Nur um dann weiter zu machen.

Ich war zu einem vergessenen Traum verkommen.

Weiterlesen

Timothy – Die Ernte …

Unruhe erfasste mich, als die große Tür hinter Jane zufiel. Ich wollte sie nicht aus den Augen lassen, aber ich musste mich auch sammeln. Ich musste meinen Zorn richtig lenken. Ich brauchte ihn!

Der Exorzist stapfte durch den Schnee an mir vorbei. Ich beobachtete, wie er sich kurz abklopfte, ehe er die Kirche betrat. Er wirkte so gefasst. So gelassen.

Ich musste ihn mir zu Nutze machen!

Entschlossen schwebte ich durch die Mauern und setzte mich auf das Podest. Genau hinter den Pfarrer. Wie geduldig der Mann doch auf die Dorfbewohner wartete. Als wollte er sein Publikum vollständig wissen.

Dennoch huschte sein Blick immer wieder zu Jane, die sich in der ersten Reihe niedergelassen hatte. Ich konnte Unsicherheit in seinem Blick erkennen. Warum? War er noch von meiner morgendlichen Anwesenheit verängstigt?

Erst als der Exorzist sich neben ihr niederließ, schien sich der Pfarrer zu beruhigen.

Vorerst.

Weiterlesen

Timothy – Die grüne Tinte …

Die ganze Nacht wachte ich neben dem schlafenden Pfarrer. Ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht verstehen, wie Jane an ihrem Glauben gegenüber Gott festhalten konnte, wenn die Leute Gottes sie doch Tod sehen wollten! Womit hatte sie das verdient? Sie war nur ein Mädchen! Nur ein Mädch-

Genau wie Evangeline.

Ja. Evangeline und ich … wir waren auch nur Kinder gewesen. Und dennoch hatte man unsere Leben verlangt. Welcher Gott war so grausam? Welcher Gott war so-

Der Mann vor mir rührte sich. Schwerfällig setzte er sich auf und streckte die Arme in die Höhe. Seine Gelenke knackten leise. Er erhob sich gähnend. Seufzend. Schlürfte so orientierungslos durch seine Gemächer und-

Obwohl er mich nicht sah, zog er einen Bogen um mich? Ha! Wenn er nur die Augen aufreißen könnte! Wenn er mich sehen könnte! Wenn …

Weiterlesen