M: Unterrichtsplanung mal anders

„Guten Abend, Mrs. Strom. Sie wollten mich sprechen?“, grüßte der Klassenlehrer ihrer Zwillinge und streckte ihr die Hand entgegen.

Er war groß, mit Speckfalten am Bauch und einem lichten Kopf versehen. Bestimmt würde er auch die letzten Haare nicht mehr lange behalten. Ob er deswegen immer diese abscheulichen Wollpullover trug? Sie waren immerhin genauso fusselig wie fünf normale Köpfe.

„Ja“, Jane machte es sich unaufgefordert auf dem Sofa im Lehrerzimmer bequem, „Es geht um Ihr Kurrikulum.“

Mr. Flemming ließ seinen Arm sinken: „Wie bitte?“

„Ihr Kurrikulum. Der Lehrplan. Was Sie mit den Kindern durchnehmen, Himmel hoch drei“, sie legte den besagten Plan auf den Tisch, „Das hier.“

Der Lehrer warf nur einen flüchtigen Blick auf das Deckblatt des riesigen Buches. Gewiss hatte er das dicke Teil im Studium lesen müssen. Es war immerhin der Plan für ganz Suderien. Darin war der Unterricht aller Kinder geregelt: Von Einschulung bis Abschluss. Jedoch war es sehr wirr geschrieben, da es unendlich viele Kreuzverweise gab. Außerdem wurden die einzelnen Themen nirgends erläutert. Es gab nur Kerndefinitionen, Lernziele und Kompetenzen.

Die Umsetzung sollten sich die Lehrkräfte selbst aus dem Hut zaubern.

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Timothy – Die Saat der Hoffnung …

Viel zu lange blickte ich auf Janes Grab herab. Es fühlte sich falsch an, dass dieses Mädchen als Oma die Welt verlassen hatte, während ich noch was-? Ein Kind war?! Denn genauso unbedeutend war ich doch! Ich war nur ein dämliches Kind, das von fast niemandem gesehen wurde!

Warum war ich eigentlich noch hier?

„Ach, Jane“, flüsterte ich in die Nacht. Ich wusste nicht, ob ich mir ein Zeichen erhoffte. Ich musste einfach ihren Namen aussprechen. Vielleicht, damit ich ihn nicht vergessen würde? So wie die Welt mich vergessen hatte?

Dabei wünschte sich ein Teil von mir sehnlichst eine Antwort. Aber der andere betete unentwegt, dass sie nicht umherirren müsse. Sie sollte von dieser Welt Abschied nehmen können. Sie sollte nicht umherirren müssen. Sie … Sie hatte etwas Besseres verdient.

Als die Sonne über den Horizont kroch, glitt ich zurück ins Haus. Still huschte ich durch die Wände und begutachtete zum ersten Mal die oberen Zimmer. Überall konnte ich Spuren einer glücklichen Familie entdecken: Dort hatte jemand in eine Bibel gemalt. Hier waren einige getrocknete Blumen wirr zusammengesteckt worden. Und da hinten zierte ein einzelnes Foto die Wände.

Sie hatten ein Familienbild aufnehmen lassen. Obwohl ich drei der Gesichter nicht kannte, konnte ich sofort alle zuordnen. Ich konnte die Liebe in den Augen von dieser Marianne sehen. Und die Freude in denen von Gretle. Und dieser Jonathan …

Einzig seinen Blick wusste ich nicht zu deuten.

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M: Die Entscheidung

„Wir können nicht länger in Centy bleiben“, begrüßte Jane den Vater ihrer Kinder, sobald er durch die Tür kam.

Blinzelnd starrte er sie an. Er wirkte überfordert – aber das war nichts Neues für sie. Danni kam ihr öfters etwas verpeilt vor. Lisa hatte ihn sogar als langsam beschrieben. Zurück in Merichaven hätte es sie genervt, alles fünfmal zu erklären. Es war ineffizient. Zeitaufwendig! Doch seitdem sie dem Ort den Rücken gekehrt hatte, wusste Jane:

Sie brauchte diesen Ruhepol. Er war der Grund, warum sie ihre hastigen Entscheidungen immer noch einmal überdenken musste. Wegen ihm konnte sie nicht einfach aufspringen und losrennen, wenn die Unruhe sie heimsuchte. Sie konnte ihn nicht zurücklassen.

Danni war vielleicht ein Dussel, doch er war ihr Dussel!

„Dieser Ort ist nicht richtig. Er ist … wie ein Spiegelbild?“, versuchte sie, seinem schief gelegten Kopf zu erklären.

„Ein Spiegelbild?“, nachdenklich marschierte er zum Fenster.

Jane seufzte. Sie stand auf, durchquerte den Flur, schloss die Wohnungstür, schaute kurz ins Kinderzimmer und eilte dann ihrem Freund hinterher. Es war ihre eigene Schuld. Wieso musste sie ihn auch so überfallen? Der Mann würde seinen Kopf verlieren, wenn er nicht festgewachsen wäre!

„Ja“, bestätigte sie mit erzwungener Ruhe, „Spiegelbild.“

Er brummte. Nickte. Wandte sich ihr zu.

„Soll ich die Fenster dann lieber nicht mehr putzen?“

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Timothy – Hinterlassen in Ruinen …

Stumm lauschte ich Timmys Erzählungen über seine Großmutter. So hatte meine Jane noch vor ihrem sechzehnten Namenstag jemanden namens Oliver geheiratet und eine Tochter namens Marianne bekommen. Doch noch ehe das Mädchen laufen konnte, verstarb der Vater. Deswegen zogen die beiden zu dem alten Ehepärchen, das einst Jane aufgenommen hatte. Gutherzig vermachten sie ihnen das Haus. Von daher war das Leben zwar nicht einfach, aber durchaus machbar gewesen.

Einige Jahre später kam ein Reisender ins Dorf. Jonathan. Er war jung, stark, besaß Gold und verfiel Janes Tochter Marianne vom ersten Augenblick an. Auch diese schloss ihn herzlichst in ihr Herz und so hatten sie sich ein gemeinsames Leben aufgebaut. Zuerst kam Margarete, die jedoch alle nur Gretle nannten, dann Timothy und zuletzt die kleine Juliette. Alles war so friedlich gewesen. So traumhaft.

Bis ein anderer Reisender Jonathan beschuldigte, ein Verräter der Krone zu sein. Er wäre an einem Aufstand beteiligt gewesen. Anschuldigungen prasselten auf sie ein. Beleidigungen wurden durchs Dorf geschrien. Jonathan schwor, dass er nichts getan hätte. Dass er unschuldig wäre!

Dennoch ließ er seine Familie zurück und floh in die düstere Nacht, ehe die Soldaten des Königs erschienen.

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M: Von Schuldgefühlen eingenommen

„Möchten Sie noch etwas Wasser?“, fragte die Bedienung lächelnd. Es war ein einladendes Lächeln. Eines, das in der Gastronomie als Einstellungskriterium verwendete. Dennoch kam Jane nicht umhin, es zu verachten.

Es war nur eine geschickte Lüge.

„Nein, danke“, erwiderte sie höflich und wies auf ihr noch volles Glas.

Erst als sie wieder allein war, schaute sie prüfend durch das Café: Zwei Gäste saßen am Tresen, ein weiterer am Fenster. Dazu noch die Bedienung und jemand in der Küche. Übersichtlich. Nun, es war immerhin ein ruhiger Samstagmorgen in Centy. Was hatte sie erwartet?

Und trotzdem war Jane gekommen.

Der Katzensprung war das Mindeste – selbst mit wachsendem Bauch. Sie musste ja nur die Treppen runterrutschen und über die Straße schlendern. Einzig, um die Angestellte zu treffen, die sich zu ihrer Schicht verspätete.

Mortes hatte seine Schwester doch immer aus allem rausgehalten!

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