M: Unterrichtsplanung mal anders

„Guten Abend, Mrs. Strom. Sie wollten mich sprechen?“, grüßte der Klassenlehrer ihrer Zwillinge und streckte ihr die Hand entgegen.

Er war groß, mit Speckfalten am Bauch und einem lichten Kopf versehen. Bestimmt würde er auch die letzten Haare nicht mehr lange behalten. Ob er deswegen immer diese abscheulichen Wollpullover trug? Sie waren immerhin genauso fusselig wie fünf normale Köpfe.

„Ja“, Jane machte es sich unaufgefordert auf dem Sofa im Lehrerzimmer bequem, „Es geht um Ihr Kurrikulum.“

Mr. Flemming ließ seinen Arm sinken: „Wie bitte?“

„Ihr Kurrikulum. Der Lehrplan. Was Sie mit den Kindern durchnehmen, Himmel hoch drei“, sie legte den besagten Plan auf den Tisch, „Das hier.“

Der Lehrer warf nur einen flüchtigen Blick auf das Deckblatt des riesigen Buches. Gewiss hatte er das dicke Teil im Studium lesen müssen. Es war immerhin der Plan für ganz Suderien. Darin war der Unterricht aller Kinder geregelt: Von Einschulung bis Abschluss. Jedoch war es sehr wirr geschrieben, da es unendlich viele Kreuzverweise gab. Außerdem wurden die einzelnen Themen nirgends erläutert. Es gab nur Kerndefinitionen, Lernziele und Kompetenzen.

Die Umsetzung sollten sich die Lehrkräfte selbst aus dem Hut zaubern.

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M: Die Entscheidung

„Wir können nicht länger in Centy bleiben“, begrüßte Jane den Vater ihrer Kinder, sobald er durch die Tür kam.

Blinzelnd starrte er sie an. Er wirkte überfordert – aber das war nichts Neues für sie. Danni kam ihr öfters etwas verpeilt vor. Lisa hatte ihn sogar als langsam beschrieben. Zurück in Merichaven hätte es sie genervt, alles fünfmal zu erklären. Es war ineffizient. Zeitaufwendig! Doch seitdem sie dem Ort den Rücken gekehrt hatte, wusste Jane:

Sie brauchte diesen Ruhepol. Er war der Grund, warum sie ihre hastigen Entscheidungen immer noch einmal überdenken musste. Wegen ihm konnte sie nicht einfach aufspringen und losrennen, wenn die Unruhe sie heimsuchte. Sie konnte ihn nicht zurücklassen.

Danni war vielleicht ein Dussel, doch er war ihr Dussel!

„Dieser Ort ist nicht richtig. Er ist … wie ein Spiegelbild?“, versuchte sie, seinem schief gelegten Kopf zu erklären.

„Ein Spiegelbild?“, nachdenklich marschierte er zum Fenster.

Jane seufzte. Sie stand auf, durchquerte den Flur, schloss die Wohnungstür, schaute kurz ins Kinderzimmer und eilte dann ihrem Freund hinterher. Es war ihre eigene Schuld. Wieso musste sie ihn auch so überfallen? Der Mann würde seinen Kopf verlieren, wenn er nicht festgewachsen wäre!

„Ja“, bestätigte sie mit erzwungener Ruhe, „Spiegelbild.“

Er brummte. Nickte. Wandte sich ihr zu.

„Soll ich die Fenster dann lieber nicht mehr putzen?“

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M: Von Schuldgefühlen eingenommen

„Möchten Sie noch etwas Wasser?“, fragte die Bedienung lächelnd. Es war ein einladendes Lächeln. Eines, das in der Gastronomie als Einstellungskriterium verwendete. Dennoch kam Jane nicht umhin, es zu verachten.

Es war nur eine geschickte Lüge.

„Nein, danke“, erwiderte sie höflich und wies auf ihr noch volles Glas.

Erst als sie wieder allein war, schaute sie prüfend durch das Café: Zwei Gäste saßen am Tresen, ein weiterer am Fenster. Dazu noch die Bedienung und jemand in der Küche. Übersichtlich. Nun, es war immerhin ein ruhiger Samstagmorgen in Centy. Was hatte sie erwartet?

Und trotzdem war Jane gekommen.

Der Katzensprung war das Mindeste – selbst mit wachsendem Bauch. Sie musste ja nur die Treppen runterrutschen und über die Straße schlendern. Einzig, um die Angestellte zu treffen, die sich zu ihrer Schicht verspätete.

Mortes hatte seine Schwester doch immer aus allem rausgehalten!

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M: Ich kann das schon allein!

„Danke, dass Sie ihn gefunden haben. Es kommt nicht wieder vor“, beschwichtigte Sophie die Erzieherin, dessen Kopf den Farbton einer Tomate angenommen hatte.

„Das hoffe ich auch! Ich musste das ganze Gelände nach ihm absuchen!“, schrie diese immer noch erbost.

So erbost, dass Tyler sich weiter hinter seine ältere Schwester schob.

„Und dafür danke ich Ihn-“

„Dank, dank, dank!“, wiederholte die Erzieherin verächtlich, „Du kannst eurer Mutter ausrichten, dass der Betreuungsvertrag so nicht aufrecht erhalten werden kann! Kinder in dem Alter müssen sich beneh-“

Etwas in Sophie verkrampfte sich. Entschlossen drückte sie den Rücken durch. Sie starrte die Erwachsene eindringlich an. Dachte an das Häufchen Elend, das ihr Bruder war.

„Bei allem Respekt – ist es nicht Ihre Aufgabe auf die Kinder aufzupassen? Wie können Sie Tyler einen Vorwurf machen, wenn Sie es doch waren, die Ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt hat?“

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M: Düstere Vermutungen

Ms. Flatfink liebte Geschichte. Seitdem sie zum ersten Mal die Friedenstaube gelesen hatte, ein Schriftstück, das ihr Land mit seinen Ansichten und Weisheiten in eine Demokratie formte, schlug ihr Herz für die Historie. Bereits als Grundschülerin konnte sie sich in den alten Texten verlieren und lernte sogar, die damaligen Handschriften einwandfrei zu lesen. Alles für die vergessenen Wünsche und Ansichten, die ihr Land prägten. Es war wundervoll von all diesen Schicksalen zu erfahren. Wie sie zueinander führten. Wie sie einander berührten. Wie sie sich verwebten. Es war geradezu wie ein Zauber, der ihre Gedanken umwob!

Ein Zauber, den sie an ihre Schüler weitergeben wollte.

Doch ihre derzeitigen Klassen zeigten leider nur wenig Interesse an der Vergangenheit: Zwei Mädchen kicherten in der hintersten Reihe miteinander, während sie sich Nachrichten schrieben. Ein weiteres schaute nur verträumt aus dem Fenster. Der Junge in der Mitte war auf seiner Federtasche eingeschlafen. Ein weiteres Kind spielte geistesabwesend mit einem Bleistift und noch eines hatte sich hinter einem umgedrehten Mathebuch versteckt.

„Es ist anzunehmen, dass Jones Kirk ermordet wurde“, beendete sie gerade die Erklärung zum Untergang ihrer einstigen Diktatur, „Jedoch wurde der Täter nie gefunden. Niemand weiß ob er dem Ruhm o-“

„Er oder sie“, unterbrach eine gelangweilte Stimme.

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