Timothy – Zusammen allein …

Ich fand ihn im Dorf wieder. In demselben Dorf, in dem ich Jane zurückgelassen hatte. In demselben Dorf, dessen Straßen dieselben Wege entlangliefen. In demselben Dorf, das nun dennoch so anders aussah …

Wo kamen die ganzen neuen Häuser her? Warum wirkte die Kirche so alt und schäbig? Auch die Gehwege erschienen mir so … stabil?

Unschlüssig betrachtete ich den Marktplatz von den umliegenden Dächern. So viele Leute tummelten sich da unten herum. Dazu noch all diese Stände! Komisch. Woher kamen die ganzen Waren? Die Hälfte davon wusste ich nicht einmal zu benennen!

Der Junge schlich sich durch die Menge. Immer wieder fielen seine hungrigen Augen auf die Lebensmittel. Jedoch blieb er nicht stehen. Wer stehen blieb, wurde von den Verkäufern eindringlich gemustert. Das würde-

Flink schnappte er sich einen Apfel und ließ ihn in den Falten seiner zu großen Kleidung verschwinden. Direkt zu dem Brötchen, das er zuvor ergaunert hatte.

Wieder hatte niemand ihn bemerkt.

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K: Lebenswunsch

Unschlüssig beobachtete sie das Haus. Verglichen mit der Ruine im Wald erschien es ihr so riesig! Und dennoch hatte sie es nur durch Shizens Witze gefunden. Er hatte ihr von den nichtmagischen Bewohnern erzählt. Sie würden sich hier so irrsinnig verhalten. Gewiss waren ihre Leben einfacher. Einfacher und amüsanter.

Das hatte ihr Interesse geweckt.

Seither hatte sie sich alle paar Tage hierher getraut. So konnte sie die Menschen aus der Ferne beobachten. Es verwirrte sie, dass die Kinder sich so unbeschwert gaben. Dabei waren sie alle ungewollte Waisen, oder? Das behaupteten Shizens Desson doch!

„Es kommt jemand“, schnurrte Yuki in ihr Ohr und augenblicklich versteckten sie sich hinter dem nächsten Baum.

Fragend nickte Maggie hinter sich und die Gestaltwandlerin verwandelte sich in einen Käfer. Surrend flog sie um ihr Versteck, um die Lage aus zu peilen.

„Er räumt auf“, berichtete sie, als sie sich erneut auf ihrer Schulter niederließ.

„Hm.“

Mehr wusste Maggie nicht zu sagen. Nicht während sich die Stimmen in ihrem Kopf überschlugen. Die eine forderte den sofortigen Rückzug. Die andere wollte alles erkunden. Sie fühlte sich zwischen einer Einsiedlerin und einem kleinen Kind gefangen.

Dabei wollte sie selbst vor Angst nur erstarren.

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Die Risse im Leuchtturm

Vor Jahren habe ich mich hier versteckt.
Ich habe durch ihn die Welt entdeckt.
Ich war so nicht verreckt …

Damals war es mir hier sicher erschienen.
Der Turm hat mich vom Sturm geschieden.
Er lehrte mir, wieder zu lieben …

Meine Finger gleiten über das Mauerwerk.
Steine mit endlosen Rissen – wohlgemerkt.
Alles steht kurz vor dem Verfall.
Nein.
Alles ist bereits am Zerfall!

Draußen toben die Wellen.
Sie peitschen gegen den Turm.
Sie knallen wie die Schellen.
Sie tanzen im Sturm.

Der Leuchtturm stöhnt.

Mein Arm fällt schlapp herab.
Ich fühle mich so platt.
Ich möchte das Mauerwerk retten!
Ich möchte die Risse glätten!
Ich möchte ihn ewig hier stehen sehen!
Er solle niemals vergehen!

Dabei weiß ich, dass nichts mehr zu machen ist …

Vergebliche Liebesmüh,
Vergeblicher Kummer,
Vergebliche Hoffnung
Macht nur alles schlimmer.

Und draußen toben die Wellen.
Sie peitschen gegen den Turm.
Sie knallen wie die Schellen.
Sie tanzen im Sturm.

Der Kahn ruft.

Mein Magen verkrampft sich.
Ich schüttle mich.
Die Tränen müssen weg.
Sie dienen keinem Zweck.
Sie würden nur Sorgen bereiten
Und mein falsches Lächeln vereiteln.

Mit zügigen Schritten geht es raus.
Alles gut, wir müssen fahren, sofort hinaus.
Etwas anderes darf ich nicht sagen.
Etwas anderes kann ich nicht wagen.

Nicht während mein Leuchtturm zerbricht.
Nicht während verschluckt wird, unser Licht.

K: Aus dem Sturm

„Ernsthaft, Flo?“, murmelte Paul ungehört, als er die Actionfigur seines Stiefbruders auflas.

Sie war nicht der einzige Gegenstand, den der Jüngere im Rasen liegen gelassen hatte. Daneben lagen ein verrostetes Fahrrad, eine offene Tüte Gummitiere und ein Fußball. Und noch ein Stück weiter konnte Paul eine Decke mit einem Buch erkennen. Moment. War das Flos verschollenes Englischbuch?!

„Ich werd‘ nicht mehr …“, kopfschüttelnd schaute er in den verhangenen Himmel. Würde sein kleiner Stiefbruder je allein in der Welt zurecht kommen?

Ein Regentropfen landete auf seiner Wange.

„Hilft doch alles nichts“, seufzend sammelte er das Schulbuch und die Fressalien auf. Am liebsten hätte er die Figur wieder auf den Boden geworfen. Um Flo eine Lektion zu erteilen. Als er jedoch das abgewetzte Gesicht erkannte, hielt er inne.

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Herbst

Rot. Orange. Gelb.
Denn so gefällt
… das Feld?
Nein:
Die ganze Welt!

In Farben getränkt,
Wird Kälte verdrängt.
Wird abgelenkt …

Der Nebel verzieht sich,
Bringt alle Wunder ans Licht.
Das Tau glitzert im Anblick
Und wirkt dabei so schick!

Oh! Da ein Reh!
Dass ich dich hier seh‘.
Eichhörnchen und Igel …
Fehlt nur noch Fuchs und Wiesel!

Ach, farbenfrohe Welt,
Dich gibt’s für kein Geld!

Wir schreiten voran,
Schreiten von dann’n.
Immer tiefer in den Wald,
Tiefer in die Vielfalt.

Denn das trockene Laub
Versteckt knistert
Und flüsternd,
Was sich hinter uns zusammenbraut.

Am Horizont.

Erst war es ein sanftes Ziehen,
Plötzlich waren wir auf Knien.
Wir schrien.
Wollten fliehen!

Peitschende Winde!
Peitschende Lüfte!
Peitschende Gewalten!
Peitschende Übergriffe!

Die bunten Blätter wehen von dannen.
Sie schlagen um sich – wollen verdammen!
Matsch, Sturm und Regen
Wollen uns fortwehen!

Dann nach Ewigkeiten
Endlich Segen …

Stille.

Knarren.

Stille.

Verharren.

Stille.

KNALL!

Der Schall hallt
In unseren Ohren wider.
Vor uns legte sich
Eine Eiche nieder.

Und starb durch den Sturm

Des Herbstes.